So oft ich in den letzten drei Wochen damit begonnen habe, die Review für das Dimensions Festival 2013 zu schreiben, so oft bin ich schon nach wenigen Sekunden in eine zwiespältige Gefühlslage zwischen Alltags-Depression und glückseliger Erinnerung versunken, die es mir unmöglich gemacht hat, auch nur ein weiteres Wort zu tippen. Lieber bedauerte ich vom Fenster aus den drückend grauen Himmel hier in Berlin oder klickte mich lustlos durch die aktuellen Club-Line-Ups – diese liebäugeln zwar mit vielen diesjährigen Dimensions-Künstlern, werden jedoch wohl nie die formvollendete Zusammenstellung und besondere Atmosphäre toppen können, in der die DJs auf dem Festival vom 5.-9. September aufgetreten sind.
Die gekonnte Inszenierung war kein Wunder, denn die Veranstalter sind alte Hasen in diesem Business. Seit sechs Jahren organisieren sie bereits das „Outlook Festival“, den „großen Bruder“ des Dimensions. Es findet am selben Ort und nur eine Woche vorher statt, ist allerdings größer und fasst mit Reggae und Hip Hop ein weiteres Musikspektrum. Doch nicht nur den Veranstaltern sind wir etwas schuldig: Vor allem will ich den Österreichern danken. Den Österreichern? Ja! Denn sie waren es, die damals am Ende des 19. Jahrhunderts die Festungsanlage Fort Punta Christo gebaut hatten, um Pula, ihre wichtigste Seehafenstadt, zu verteidigen.
Heute wird hier nur noch eines verteidigt: Kultur. Und atemberaubende Aussichten. Zwischen den Mauern der 45 m über dem Meeresspiegel liegenden, verlassenen Festungsanlage ist nun Platz für Bässe, Boxen und Besucherscharen. Der Fort Punta Christo hat sich zu einem beliebten Ort für Konzerte, Hobby-Historiker und eben auch Festival-Liebhaber entwickelt. Mit dieser Location kann sich das Dimensions abheben aus dem mittlerweile fast unüberschaubaren Angebot an Festivals unter der kroatischen Sonne. Fette Boat Parties, beeindruckende Line-Ups, ein angenehmes, buntes, offenes Publikum: Ja, das gibt es woanders auch – aber nicht in solch einer magischen Gegend und betörenden Mischung.
Lieblings-Künstler? Eigentlich ist es ein Ding der Unmöglichkeit, sich bei solch einem monströsen Line-Up einen Lieblings-Künstler herauszupicken. Die Dimensions-Crew hat sich dieses Jahr wieder selbst übertroffen: Das zweite Jahr in Folge den großen Theo Parrish buchen? Nun ja, wieso nicht gleich die ganze 3-Chairs-Gang (Theo Parrish, Rick Wilhite, Marcellus Pittman & Moodymann)! Und das soll schon genug „Detroit“ sein? Nun ja, wieso nicht lieber noch Juan Atkins aka Model 500 und Derrick May dazu! Sind nicht Live-Sets von Portico Quartet, Tony Allen, Jets (Jimmy Edgar & Machinedrum), Brandt Brauer Frick, Pantha Du Prince und Space Dimensions Controller genug Highlights für eine Mainstage? Nun ja, wieso nicht noch Daphni mit einem Set hinstellen, das die Bühne vor lauter topaktuellem House, basslastigem Funk und drückend-dancigem Disco praktisch explodieren lässt! Die Menge verschmolz dabei zu einem einzigen gutgelaunten, bouncenden Klumpen. Alle diese – und noch viel mehr – Acts waren ganz besonders großartig. Soundmäßig rausgestochen hat für mich jedoch Jimmy Edgar. Er hat mit einer ravigen Darbietung eine tolle Abwechslung zum übrigen erwachsenen House- und Technosound geliefert. Kein Wunder, dass er auch ein wenig mit Boys Noize unter einer Decke steckt:
Lieblings-Überraschung? Acts, die ich eigentlich nicht geplant hatte aufzusuchen, in deren Auftritte ich aber durch Zufall oder Empfehlung hineingeraten bin und sehr froh darüber war: Ron Morelli & Anthony Naples & Kutmah & Mala in Cuba. Diese Jungs mal auszuchecken möchte ich euch wärmstens ans Herz legen!
Lieblings-Bühne? Ist ja wohl klar, dass meine Favoritin diejenige Bühnenlocation ist, in der man nicht mal drinstehen musste, um den Druck des Basses mit jeder Faser des Körpers zu spüren: The Moat. Dementsprechend waren auch hier die fettesten Techno-Acts angesiedelt – Surgeon, Blawan, Ben Klock. Sie machten den riesigen ummauerten Graben zu einem einzigen Pumpwerk von dunkler, treibender Musik. Genauso gut könnte ich mir aber auch vorstellen, an dieser Stelle den Ballroom zu nennen: ein kreisrunder Kessel, in den nur eine strikt begrenzte Anzahl an Leuten reinpasste. Die durften dann dort drin zusammen mit triefenden Beats kochen – und hatten gleichzeitig einen wunderbaren Ausblick nach oben auf den Sternenhimmel. Aber wen man auch fragte: Jeder hatte einen anderen Lieblingsort. Eine Französin ließ sogar die eigentliche Festivalanlage außen vor: Für sie war der Strand mit den Beach-Parties das Beste am Dimensions.
Lieblings-Tag? Insgesamt herrschte eine gute musikalische Ausgeglichenheit zwischen den Tagen und während der einzelnen Festivalnächte an sich. Was meine persönlichen Lieblingsacts anbelangte, so favorisierte ich von der Aufstellung her den zweiten Tag, Freitag. Portico Quartet, Daphni, Surgeon, Blawan, Eliphino, Jimmy Edgar, Machinedrum – nicht nur ein Ohren- sondern auch ein Augenschmaus, wenn man das Line-Up betrachtete. Zur vollen Ladung an feierwütigem Techno wurde allerdings am Samstag angesetzt. An diesem Abend waren auch die meisten Leute – bzw. Einheimischen – unterwegs, was die dröhnende Stimmung nur verstärkte. Außerdem schafften wir es an diesem Tag endlich, eine der wunderbaren Boat-Parties zu besuchen, was dem Samstag natürlich ein ganz besonderes Highlight gab. Trotzdem kann man nicht eindeutig sagen, dass diese Nacht den Höhepunkt markierte. Denn als solchen bezeichneten viele erst das Set von 3 Chairs am Sonntag. Dieser Tag war geprägt House-Varianten aller Art – und ein perfekter Abschluss von der unvergesslichen Festivalerfahrung.
In diesem Jahr, in dem das Dimensions zum zweiten Mal stattfand, hat man mehr von seiner „Größe“ gemerkt – alles ein bisschen mehr abgesperrt, alles ein bisschen genauer kalkuliert, alles ein bisschen verkommerzialisiert mit kauf-das-doch-noch-Angeboten an jeder Ecke. Demgegenüber standen allerdings die enstspannten Festivalbesucher, die grandiosen Künstler und nun mal der unübertreffliche Veranstaltungsort. Das Dimensions bleibt immer noch ein wahres Wunderland für diejenigen, die es sich leisten können, Strand-Urlaub und Festival-Trip zu verbinden. Vor allem für Liebhaber elektronischer Musik, die nicht die Möglichkeit haben, drei Tage die Woche die großen DJs in den Techno-Metropolen abzuchecken, ist das Dimensions Festival ein absolutes Muss.
Wer nun sicher ist, dass er sich das nicht entgehen lassen darf, kann hier seit Montag die Super-Early-Bird-Tickets ergattern. Ich jedenfalls würde sie mir zum Geburtstag wünschen. Danke Dimensions, und hoffentlich bis nächstes Jahr!
Fotos: Marvin Uhde